Aleviten gedenken Pîr Sey Rızo

16, November. 2020 Montag - 11:18

  • Am 15. November 1937 wurden der geistliche und tribale Vordenker des alevitisch-kurdischen Dersim-Widerstands, Pîr Sey Rızo, und sechs seiner Mitstreiter durch den türkischen Staat hingerichtet. In vielen Städten ist an sie gedacht worden.

„Ich wurde mit euren Lügen und eurer List nicht fertig, das ist mir zum Leid geworden. Aber dass ich vor euch nicht auf die Knie gegangen bin, das soll euch zum Leid werden.“ Das waren die letzten Worte von Pîr Sey Rızo, dem geistlichen und tribalen Vordenker des Widerstands im alevitisch-kurdischen Dersim von 1937, vor seiner Hinrichtung. Zum 83. Todestag von Pîr Sey Rızo - auch Seyit Rıza oder auf Kurmancî Seyîd Riza genannt -, seinem Sohn Resik Ûşen und seinen fünf Mitstreitern Wusênê Seydi, Aliye Mirzê Sili, Hesen Ağa, Fındık Ağa und Hesenê Ivraimê, die am 15. November 1937 in Xarpêt (türk. Elazığ) durch den türkischen Staat ermordet wurden, haben in vielen Städten Nordkurdistans und der Türkei Gedenkveranstaltungen stattgefunden. In einer gemeinsamen Erklärung, die alevitische Organisationen und Verbände im Vorfeld der Zeremonien veröffentlichten, hieß es: „Die größte Lehre, die wir aus dem Dersim-Genozid ziehen können, ist die Realität, dass sich eine Gesellschaft durch kollektive Organisierung der Unterdrückung widersetzen kann.“

In Dersim selbst wurde das Gedenken am Nachmittag traditionell mit einer Kundgebung auf dem Seyit-Riza-Platz eingeleitet. Nach einer Schweigeminute und Ansprachen zogen die Menschen gemeinsam bis zur Pax-Brücke und ließen Nelken in den Bach Harçik fallen, in den 37/38 so viel Blut floss, dass dieser tagelang blutgetränkt war. Um genau 19.37 Uhr wurde kollektiv das Gebet zur Erweckung des Lichtes (Delîl/Çerağ) gesprochen, bevor Lokma verteilt wurde. Das Lokma ist ein wichtiger Bestandteil der alevitischen Cem-Zeremonien, wobei das Prinzip des Teiles und der Solidarität im Vordergrund steht.

Mit dem Gedenken an Pîr Sey Rızo, seine Freunde und die Opfer des Genozids in Dersim 1938 verknüpfte die alevitische Gesellschaft auch in diesem Jahr wieder politische Forderungen für die Gegenwart. Gefordert wird in erster Linie eine Entschuldigung der Türkei und die Aufarbeitung des Genozids auf staatlicher Seite, die Aktenfreigabe - seit 1938 ist das Staatsarchiv de facto unzugänglich, noch nicht einmal tröpfchenweise wurden Archivalien freigegeben – sowie die Preisgabe vom Aufenthaltsort der Leichen von Sey Rızo und seiner Freunde, die nach der Hinrichtung an einem geheimen Platz beigesetzt wurden, und die Rückgabe vom Land der Ermordeten oder Vertriebenen, das vom Staat unrechtmäßig konfisziert oder an Kollaborateure übertragen wurde.

Das ist auch die Forderung von Zeliha Polat, für die sie sich seit Jahrzehnten einsetzt. Die Enkelin von Pîr Sey Rızo, die in der „verbotenen Zone“ Dersims auf den Ruinen ihres Elternhauses eine Hütte baute, leistet seit genau zwanzig Jahren Widerstand dafür, um in ihrem alten Stammgebiet zu leben. Doch es wird ihr schwer gemacht. Seit der Niederschlagung der von ihrem Großvater angeführten Rebellion ist die Wiederbesiedlung der Region verboten. Die Schweizer Filmemacherin Gabriela Gyr hat eine Dokumentation von Zelihas Hütte, die für viele Dersimerinnen und Dersimer inzwischen zu so etwas wie einer Pilgerstätte geworden ist, gedreht.

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